Vertriebene - Aussiedler - Spätaussiedler


Im Sprachgebrauch der Tschechen gab es nur Aussiedler. Die Bezeichnung "Aussiedler" wurde auch in dem Sprachgebrauch der DDR übernommen, die Bezeichnung "Vertriebener" durfte nicht genannt werden! Die Bezeichnung "Vertriebener" war nur in Westdeutschland üblich. Im Westen wurde zwischen "Flüchtling" und "Vertriebener" unterschieden. Flüchtlinge, meist Menschen die aus dem Ostgebieten vor den einrückenden Russen flohen.


Vertreibung

Bereits nach Kriegsende begann die wilde Vertreibung. Die Familie meiner Cousine aus Neugeschrei war gerade beim Mittagessen als das Vertreibungskommando eintraf, sie mussten die Wohnung sofort ohne Gepäck und Papiere verlassen. Sie wurden bei Jöhstadt über die Grenze nach Sachsen gejagt. Viele Neugeschreier hatten Bekannte und Verwandte in Niederschlag. Die ersten Opfer der wilden Vertreibung fanden Unterschlupf bei diesen Familien. Diese Opfer wurden aus Weipert verjagt, aber auch in Bärenstein durften sie nicht bleiben, sie wurden auch hier, trotz gesicherter Unterkunft bei Bekannten und Verwandten nach wenigen Tagen erneut verjagt. Eine neue Bleibe in Sachsen fanden sie nicht. 10 Familien trafen sich nach langer Irrfahrt im thüringischen Unterwellenborn im Lager wieder. Der Lagerleiter war ein Weiperter, verheiratet mit einer Russin. Trotz früherer Repressalien wegen der russischen Nationalität seiner Ehefrau hat er diese Weiperter Familien aufgenommen.

Nach der wilden Vertreibung (ohne Gepäck und Papiere) über die Grenze nach Sachsen kam ab 1946 die "humane Aussiedlung!" 25 kg Gepäck waren erlaubt, von den Tschechen x-mal kontrolliert, alles was wertvoll erschien wurde geraubt. Zur damaligen Zeit war die Vertreibung vorhersehbar, viele hatten Koffer gepackt. Meine Eltern hatten die gepackten Koffer im Schlafzimmer abgestellt. Als das Vertreibungskommando eintraf, durften meine Eltern das Schlafzimmer und die Schlafkammer der Großmutter nicht mehr betreten. Sie konnten nur einige Gegenstände aus Wohnzimmer und Küche einpacken. Ich hatte ein kleines Holzpferd auf einem Brettchen mit 4 Rädern, mein einziges Spielzeug, selbst dies wurde mir von einen Tschechen im "Aussiedlerlager" in der ehemalige Spedition Weisgärber abgenommen.
Meine Schwester Christa war in der Landesanstalt inDobřany. Ein Kontakt vom Mai 1945 bis zur Vertreibung war nicht möglich.

Wir waren etwa 2 Wochen im Lager, dann wurden wir per Bahn im Viehtransportwaggon über Eger aus dem Land gebracht. Der Transport ging nach Hessen, Hessen war überfüllt, wir wurden nach 2 Tagen im Viehwaggon nach Bayern umgeleitet.

Die kindlichen Erinnerungen an die 2 Wochen im Aussiedlerlager sind unklar, für mich war es ein großer U-förmiger Backsteinbau mit großen Misthaufen (wahrscheinlich der Pferdemist der ehemaligen Spedition) auf dem die Deutschen ihre Notdurft verrichteten. Breite, graue Steintreppen und große Säle (die Lagerräume der Spedition).
Bei kleinsten Vergehen durften die deutschen Frauen diese Steintreppen mit der eigenen Zahnbürste putzen (Erzählung meiner Mutter).


Außer der Kleidung am Körper enthielt dieser Koffer alle Habseligkeiten, die Luzie Dick bei der Vertreibung aus der Heimat mitnehmen konnte. 45 x 28 x 15 cm war der Koffer groß. Wg.34 war die Nummer des Güterwaggon, der die Vertriebene aus dem Sudetenland nach Deutschland brachte. Der Koffer enthielt mit Sicherheit keine Wertgegenstände. Alles was wertvoll erschien wurde vorher von den Tschechen bei x-fachen Kontrollen in den Sammellagern geraubt.
Luzie Dick war bereits vor der Vertreibung krank, bei einem Zwischenaufenthalt in Sonneberg/Thüringen wurde sie "entladen" und ins Krankenhaus gebracht. Luzie Anna Dick, geb. Dienelt starb am 25.September 1946 im Krankenhaus von Sonneberg.

Ein dunkler Punkt bei der Vertreibung war die schmutzige Mithilfe Deutscher. Über dieses Thema sprachen nur wenige offen. Ohne diese Deutschen hätte die Vertreibung von Deutschen nicht so gut funktioniert. 98% der Weiperter waren Deutsche (letzte tschechische Volkszählung 1939), die vertreibenden Tschechen waren ortsfremd, sie benötigten also die Hilfe ortskundiger Deutscher. Der antifaschistische, kommunistische Hilfsdienst um Franz Fraß war ein williger Helfer für diese Schmutzarbeit, die Mitglieder trugen eine rote Armbinde als Kennzeichen. Dieser Hilfsdienst besprach mit den Tschechen, welche Wohnungen zu durchsuchen, welche Bewohner zu vertreiben oder welche in eines der Straflager zu sperren wären. Die Vertreibungskommandos bestanden in der Regel aus 2 bewaffneten Tschechen und einem Deutschen vom Hilfsdienst mit roter Armbinde.

Diese Deutschen waren meist nationalsozialistisch Verfolgte, die in Konzentrationslagern und anderen Straflagern waren. Nach der Befreiung 1945 rächten sie sich rücksichtslos an allen Deutschen. Die ersten Deutschen (zumeist aus Neugeschrei) wurden ohne Habe bei Jöhstadt nach Sachsen gejagt. Etwa 6 Wochen nach Kriegsende wurden viele Neugeschreier Männer nach Striemitz oder Maltheuern verschleppt. Bis 1947 waren etwa 80% der Deutschen vertrieben, der Rest wurde teilweise umgesiedelt, zwangsweise zur Landarbeit oder im Joachimsthaler Uranbergbau eingesetzt. An den Folgen des Uranbergbaus sind viele verstorben.

Von meinen deutschstämmigen Zimmervermieterinnen bei den Archivbesuchen in Leitmeritz wurden mir ähnliche Zustände geschildert, es war also kein alleiniges Weiperter Problem. Ich konnte diese Rolle der "roten Armbinden" nicht glauben, suchte bei "Google" und fand "NICHTS". In der "Chronik der Stadt Weipert" fand ich auf Seite 504/505 eine Bestätigung dieser Aussagen.
Einige begingen lieber Selbstmord im Schützteich, als vertrieben zu werden. "Vertreibung" ist immer noch eine humane Umschreibung für die tschechischen Verbrechen".

Die Vertreibung wurde nicht überall gleich gehandhabt. Die Angaben über das zulässige Gepäck schwanken von 25 bis 40 kg. In Weipert waren Koffer, Rucksack als Verpackung üblich. In Milles gab es vorgefertigte "Vertreibungskisten" aus Holz. Das Gewicht (Tara 28) der Kiste ist genau angegeben, da durften 30 kg zugepackt werden (Juni 1946)!
Als Dank für ihre Schmutzarbeit durften die Mitglieder des Hilfsdienstes ab Ende 1946 mit der gesamten beweglichen Habe ausreisen. Einer dieser Transporte ging nach Weißenburg / Treuchtlingen. Die Mitglieder hatten ihre bewegliche Habe, bekamen Entschädigung als nationalsozialistische Verfolgte, bekamen Lastenausgleich als Heimatvertriebene und bauten die ersten Häuser in Weißenburg.

Die folgenden Sätze hören manche Vertriebenenfunktionäre nicht gerne. Was wäre gewesen, wenn wir nicht vertrieben worden wären? Wir wären über 40 Jahre ein unterdrückter Volksstamm in einem kommunistischen Staat gewesen. Darüber sollte sich manch Vertriebener klar sein. Viele Vertriebene sind in Westdeutschland durch eigene Initiative zu bescheidenen Wohlstand gekommen. Ehemalige Muntionslager wurden durch die Initiative von Vertriebenen zu Städten, Neugablonz und Waldkraiburg entstanden. Die Sudetendeutschen wurden als vierter Volksstamm in die Bayerische Verfassung aufgenommen.

In Südböhmen und Mähren wurden die Deutschen nach Österreich vertrieben. Der Todesmarsch von Brünn ist in die Geschichte eingegangen. Österreich hat die deutschen Vertriebenen auch nicht aufgenommen. Es folgte Teil 2 der Vertreibung, 1946 wurden 224425 Deutsche in 271 Transporten von Österreich nach Deutschland vertrieben. Nachzulesen ab Seite 119 in Vertreibungslisten.


Aussiedler

Ab 1946 gab es eine besondere "Sorte" Aussiedler, es waren die Träger der roten Armbinden, die als Dank für ihre Schmutzarbeit aussiedeln durften. Ihnen stand ein halber Güterzugwagon für ihre bewegliche Habe zur verfügung, sie selbst durften im Personenzugwaggon ausreisen, da war auch Verwandtschaft dabei. Die Transporte gingen nach nach Weißenburg und Treuchtlingen in Bayern. Als Kind fragte ich,"warum fahren wir nicht mal nach Weißenburg zu Besuch?" die Antwort meines Vaters war kurz: "In Weißenburg wohnt das rote Pack, da fahren wir nicht hin". Als Kind verstand ich diese Aussage nicht.

Nach dem Tod meiner Eltern begann ich mich mit Weiperter-Familien und Geschichte zu befassen. Ich suchte den Kontakt zu älteren Weipertern, Gesprächsthema waren auch die Vertreibung und die Vertreibungskommandos.

Den Koffer haben wir 2011 bei einer Ausstellung in Weipert entdeckt. Tschechischer Begleittext: "Der Koffer wurde er auf dem Dachboden eines Weiperter Hauses gefunden. Der Koffer gehörte Franz Johann Hentsch und war das Gepäckstück, welches er bei der Vertreibung mitnehmen durfte. Lt. einem Augenzeugen wurde der Koffer Franz Hentsch beim Einsteigen in den Zug entrissen, er fuhr ohne Koffer ab."
Eine Notiz in der Heimatzeitung "Mei Erzgebirg" lautete: "Wenige Wochen nach Vollendung seines 67. Lebensjahres starb am 3.8.1957 Lm. Franz Hentsch, Wagnermeister, in Elbogen, wohin er sich zur Behandlung seines Herzleidens begeben hatte. Er wurde nach Weipert überführt."
Er wohnte also weiterhin als Wagnermeister in der Schillerstraße 398. Der Koffer war für das wenige erlaubte "Vertreibungsgepäck" viel zu groß. Der Koffer war für eine geplante "Aussiedlung" vorbereitet. Franz Hentsch hat es sich aber anders überlegt und ist in Weipert geblieben.
Er wurde mit Sicherheit nicht vertrieben! Wie kam es zur Aussage des Zeitzeugen?


Spätaussiedler

Im Prager Frühling (Frühjahr 1968) verließen viele deutschstämmige die Tschechoslowakei in Richtung Westen. Diese Personen sind als Spätaussiedler bekannt. Die meisten überlebenden Spätaussiedler waren damals Kinder und haben von den tschechischen Gräueldaten in den Nachkriegsjahren keine Ahnung.
Die Bezeichnung „Prager Frühling“ stammt von westlichen Medien. In Prag selbst wird unter „Prager Frühling“ das seit 1946 regelmäßig durchgeführte Musikfestival Prager Frühling verstanden.

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